Hat mein Kind ADHS? Wann Tem­perament zur Störung wird

Redaktion
IKK classic

Leidet ein Kind unter der Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitäts-Störung (ADHS), kann dies nicht nur das familiäre Umfeld belasten, sondern auch die gesamte Entwicklung des Kindes beeinflussen. Doch wie können Eltern die Symptome von ADHS richtig erkennen und den richtigen Umgang damit finden?

Die Buchstaben ADHS stehen für "Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitäts-Störung". Etwa zwei bis sechs Prozent der Kinder und Jugendlichen in Deutschland sind davon betroffen – Jungen häufiger als Mädchen. Die Symptome der Krankheit sind vielschichtig und bei jedem Kind anders oder in unterschiedlichem Maß ausgeprägt.

Kinder, die unter ADHS leiden, können sich zum Beispiel nur schwer konzentrieren, lassen sich leicht ablenken, sind unruhig, haben einen starken Bewegungsdrang, sind impulsiv und handeln oft unüberlegt. Manchmal äußert sich ADHS aber auch in Verträumtheit und Vergesslichkeit. Mit ihrem auffälligen und vielfach als Störung wahrgenommenen Verhalten ecken Kinder mit ADHS regelmäßig an – in der Kita, der Schule, aber auch im privaten Umfeld. Häufig führt dies zu sozialer Ausgrenzung. Viele leiden unter dem Gefühl, anders zu sein als die anderen und irgendwie nicht "hineinzupassen".

Prävention bei Kindern

Die IKK classic fördert Prävention in Schulen und verbessert die Gesundheit in verschiedenen Lebenswelten. Erfahren Sie hier mehr über die Unterstützung für Grundschulen.

Ursachen von ADHS: Genetische Veranlagung und Umwelteinflüsse

Studien konnten zeigen, dass die Störung häufig erblich bedingt ist. Bei ADHS-Betroffenen steht zu wenig Dopamin zur Verfügung, da es im Gehirn schneller abgebaut wird als bei gesunden Personen. Dopamin ist ein Botenstoff, der zum Beispiel die Koordination, emotionale Kontrolle und zielgerichtete Aufmerksamkeit reguliert. Kinder mit ADHS können aufgrund des Dopamin-Mangels Umweltreize nicht richtig verarbeiten, sie werden regelrecht von ihnen überflutet. Außerdem können sie ihren Bewegungsdrang und ihre Gefühle nicht kontrollieren – ihre Fähigkeit zur Selbststeuerung ist vermindert.

Doch es sind nicht nur die Gene allein. Die bekannten ADHS-Symptome kommen erst unter dem Einfluss bestimmter psychosozialer Faktoren zum Tragen. Viele Kinder stehen heutzutage unter großem Leistungsdruck, werden täglich durch verschiedene Medien mit Informationen überflutet und bewegen sich zu wenig. Auch eine gestörte Eltern-Kind-Beziehung, wie sie häufig durch das auffällige Verhalten der Kinder über Jahre entstanden ist, kann ADHS negativ beeinflussen – und so den Krankheitsverlauf verschlimmern.

Präventionskurse für Geschwisterkinder

Geschwister von Kindern mit besonderen Bedürfnissen stehen oft vor Herausforderungen. Die Präventionskurse „SuSi“ und „GeschwisterTREFF“ bieten wertvolle Unterstützung.

ADHS-Symptome: Frühzeitig erkennen und richtig handeln

Doch wie lässt sich herausfinden, ob ein Kind tatsächlich ADHS hat oder ob hinter den Symptomen eventuell ganz andere Ursachen stecken? Eltern sollten zur Klärung dieser Frage unbedingt eine Fachärztin oder einen Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie oder eine Psychotherapeutin bzw. einen Psychotherapeuten für Kinder und Jugendliche aufsuchen.

Fachärztinnen und Fachärzte bzw. Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten führen umfassende Untersuchungen durch, die auch Gespräche mit den Eltern, Lehrern und Erziehern des Kindes umfassen, um die Symptome genau zu erfassen und eine präzise Diagnose zu stellen.

Der Verdacht auf ADHS liegt nahe, wenn die Symptome stark ausgeprägt sind, sich in verschiedenen Lebensbereichen (Familie, Schule und Freizeit) zeigen, seit mehr als einem halben Jahr bestehen und das Verhalten nicht altersgemäß ist. Geklärt werden kann dies aber nur im Rahmen einer umfassenden Diagnostik anhand anerkannter Klassifikationsschemata.

Um auszuschließen, dass die Auffälligkeiten durch organische Erkrankungen hervorgerufen werden, wird das Kind zunächst gründlich untersucht. Oft werden auch Lehrkräfte oder Erzieherinnen und Erzieher gebeten, sich zur Leistungsfähigkeit und zum Verhalten des Kindes in Kita oder Schule zu äußern. Auch psychologische Tests oder Leistungstests kommen bei der Beurteilung teilweise zum Einsatz.


Die drei zentralen Symptome von ADHS sind Unaufmerksamkeit, Hyperaktivität und Impulsivität. Nach der ICD-11 – der Internationalen Klassifikation der Krankheiten – müssen Symptome aus diesen Bereichen in mehreren Lebensbereichen auftreten und den Alltag des Kindes deutlich beeinträchtigen. Die Diagnose basiert auf spezifischen Kriterien, die je nach Ausprägung zu einer Einordnung in einen der ADHS-Typen führen.

Drei Symptom­bereiche von ADHS

ADHS umfasst die drei Kernsymptome Unaufmerksamkeit, Hyperaktivität und Impulsivität. Laut ICD-11 müssen Anzeichen aus diesen Bereichen anhaltend auftreten, den Alltag deutlich beeinträchtigen und in mehreren Lebensbereichen (z. B. Schule, Familie, Freizeit) erkennbar sein. Die Diagnose erfolgt anhand spezifischer Kriterien, wobei zwischen drei ADHS-Typen unterschieden wird: vorwiegend unaufmerksam, vorwiegend hyperaktiv-impulsiv, gemischt.

Unaufmerksamkeit

Ein Kind mit ADHS zeigt oft: Flüchtigkeitsfehler, kurze Aufmerksamkeitsspanne, scheinbares Nicht-Zuhören, Probleme beim Folgen von Anweisungen, Schwierigkeiten mit Organisation und Planung, Vermeidung anstrengender Aufgaben, häufiges Verlieren von Gegenständen, leichte Ablenkbarkeit und Vergesslichkeit.

Hyperaktivität

Ein Kind mit ADHS zeigt oft übermäßige motorische Unruhe, kann nur schwer still sitzen, verlässt unerlaubt den Platz, läuft oder klettert in unpassenden Situationen, ist unnötig laut und zeigt trotz Ermahnungen anhaltende Ruhelosigkeit. Bei Jungen tritt Hyperaktivität häufiger auf – ADHS wird auch aus diesem Grund bei Mädchen oft übersehen.

Impulsivität

Ein Kind mit ADHS unterbricht oft andere, fällt ins Wort, platzt mit Antworten heraus, bevor Fragen beendet sind, kann nur schwer abwarten und drängt sich in Gespräche oder Spiele. Es redet oft unaufhörlich, ohne auf soziale Signale zu achten.

ADHS-Therapie: Individuelle Ansätze für eine erfolgreiche Behandlung

Wird eine ADHS diagnostiziert, erstellt die Ärztin oder der Arzt einen individuell auf das Kind abgestimmten Therapieplan. Dieser kann eine Kombination aus Psychotherapie, pädagogischen Maßnahmen und psychosozialen Betreuungsangeboten umfassen. In manchen Fällen ist auch der Einsatz von Medikamenten sinnvoll, insbesondere wenn die Symptome stark ausgeprägt sind.

Ein wichtiger Bestandteil der Behandlung ist es, das Umfeld des Kindes – vor allem die Familie und die Schule – in die Therapie einzubeziehen. Nur so erhält das Kind in allen Lebensbereichen die notwendige Unterstützung für eine gesunde Entwicklung. Eltern können sich an Beratungsstellen wie Kinder- und Jugendpsychiatrische Ambulanzen oder das „Infoportal ADHS“ wenden, die nicht nur bei der Diagnosestellung, sondern auch bei der Auswahl der passenden Therapieoptionen und der alltäglichen Unterstützung helfen. Die enge Zusammenarbeit aller Beteiligten ist entscheidend für den Erfolg der Behandlung.

Vorsorgeuntersuchungen für Kinder

Die IKK classic bietet kostenfreie Vorsorgeuntersuchungen für Kinder an, die im Rahmen unseres Bonusprogramms bares Geld wert sind – für eine gesunde Zukunft Ihres Kindes.

Begleit­erkrankungen bei ADHS

Neben den Symptomen für Unaufmerksamkeit, Hyperaktivität und Impulsivität können besonders bei Kindern und Jugendlichen noch weitere Störungen und Probleme auftreten. Lesen Sie mehr dazu in diesem Fachbeitrag vom Online-Portal ADHS Deutschland:

Zum Beitrag
  • Leserechtschreibstörung

    Auch LRS oder Legasthenie: eine spezifische Lernstörung, die vor allem Schwierigkeiten beim Erlernen und Anwenden der Rechtschreibung und beim flüssigen Lesen mit sich bringt.

  • Rechenstörung

    Auch Dyskalkulie: Eine spezifische Lernstörung, bei der es zu anhaltenden Schwierigkeiten im Bereich des mathematischen Denkens und Rechnens kommt.

  • Ticsyndrom

    Auch Tourette-Syndrom genannt: Eine neurologische Störung, die durch wiederholte, unkontrollierbare Bewegungen oder Lautäußerungen (sogenannte Tics) gekennzeichnet ist.

  • Autismusspektrumstörung (ASS)

    Eine neurologische Entwicklungsstörung, die sich durch Schwierigkeiten in der sozialen Interaktion, Kommunikation und das Vorhandensein von engen, wiederholten Verhaltensweisen oder Interessen auszeichnet.

  • Hohe Unfallrate

    Aufgrund von Impulsivität und Schwierigkeiten, sich zu konzentrieren, überschätzen Kinder mit ADHS häufig ihre Fähigkeiten und unterschätzen Gefahren, was zu einer höheren Unfallrate führt.

  • Störung des Sozialverhaltens und oppositionelle Verhaltensweisen

    Kinder mit ADHS zeigen häufig oppositionelle Verhaltensweisen wie Trotzreaktionen und Widerstand gegen Autoritäten. Dies resultiert oft aus Schwierigkeiten, Regeln zu befolgen und Impulse zu kontrollieren.

  • Schlafstörungen

    Viele Kinder mit ADHS leiden vorübergehend oder dauerhaft unter Schlafstörungen (Insomnien).

Diagnose ADHS: Wie gehe ich richtig mit meinem Kind um?

Die Diagnose ADHS kann für Eltern eine große Herausforderung sein. Wichtig ist, Verständnis für die Bedürfnisse des Kindes zu entwickeln und zu wissen, wie man mit den Symptomen angemessen umgeht.

Verhalten verstehen und nicht verurteilen

Der erste Schritt im Umgang mit ADHS ist, das Verhalten des Kindes nicht zu verurteilen, sondern es als Teil der Störung zu verstehen. Kinder mit ADHS handeln oft impulsiv und unaufmerksam, ohne dass sie es absichtlich tun. Diese Verhaltensweisen sind Symptome der Störung. Geduld und Einfühlungsvermögen sind daher sehr wichtig. Eine ruhige und strukturierte Umgebung, in der klare Regeln und Routinen den Alltag bestimmen, kann dabei helfen.

Kommunikation und positive Verstärkung

Offene Kommunikation ist ein weiterer Schlüssel zum Umgang mit ADHS. Sprechen Sie regelmäßig mit Ihrem Kind über seine Gefühle und Bedürfnisse. Setzen Sie auf positive Verstärkung, statt auf Bestrafung. Loben Sie konkrete Fortschritte und Erfolge, um das Selbstwertgefühl Ihres Kindes zu stärken. Tipp: Ein Gefühlstagebuch hilft Kindern dabei, ihre Gefühle zu benennen und kann ein schönes, verbindendes Abendritual sein. 

Unterstützung aus dem Umfeld einbeziehen

Ein unterstützendes Umfeld ist ebenfalls entscheidend. Sprechen Sie mit Lehrkräften und anderen Betreuungspersonen über das Verhalten Ihres Kindes, um eine einheitliche Unterstützung auf allen Ebenen zu gewährleisten. Pädagogische Maßnahmen, die in der Schule oder im Kindergarten angewendet werden, sollten mit den Maßnahmen zu Hause abgestimmt werden.

Zusätzliche Maßnahmen zur Unterstützung

Sport, Achtsamkeitstrainings und soziale Kompetenztrainings sind weitere sinnvolle Maßnahmen, die das Verhalten Ihres Kindes positiv beeinflussen können.

Der richtige Sport 

Sportliche Aktivitäten helfen, überschüssige Energie abzubauen, fördern Konzentration und Selbstkontrolle. Die richtige Sportart stärkt zudem das Selbstbewusstsein. Besonders geeignet bei ADHS sind beispielsweise:

  • Klettern: Klettern fordert Körper und Geist und hilft, die Konzentration zu steigern. Die Herausforderung, eine Kletterwand zu bezwingen, stärkt das Selbstvertrauen und die Motorik.
  • Reiten: Reiten trainiert nahezu alle Muskeln, fördert die Körperwahrnehmung und Geduld. Durch die Interaktion mit einem Pferd lernen Kinder, nonverbale Signale zu deuten und Empathie zu entwickeln. Das direkte Feedback des Tieres hilft Kindern, ihr eigenes Verhalten besser zu steuern.
  • Tanzen: Tanzen ist eine kreative und körperliche Ausdrucksform, die Disziplin und Koordination fördert. Es kann helfen, Energie sinnvoll zu kanalisieren.
  • Kampfsport: Kampfsportarten wie Judo, Karate oder Fechten verbessern die Motorik, schulen Disziplin und Selbstbeherrschung. Durch klare Regeln und den respektvollen Umgang lernen Kinder, ihre Impulse zu kontrollieren.
  • Yoga: Stärkt Achtsamkeit, Körpergefühl und innere Ruhe. Durch gezielte Atem- und Bewegungsübungen lernen Kinder, sich zu entspannen und Stress abzubauen.

Kreative Aktivitäten

Neben Sport können auch musikalische und kreative Aktivitäten eine wertvolle Unterstützung bieten. Kinder mit ADHS haben oft einen starken inneren Drang, sich auszudrücken – Musik, Theater und Kunst bieten hierfür ideale Möglichkeiten:

  • Musikinstrumente spielen: Fördert Konzentration, Durchhaltevermögen und feinmotorische Fähigkeiten.
  • Singen: Gemeinsames Singen (z.B. im Kinderchor) stärkt das Gemeinschaftsgefühl, baut Stress ab und erleichtert das Knüpfen neuer Freundschaften.
  • Theaterspielen: Fördert Selbstbewusstsein, Ausdrucksfähigkeit und Empathie durch das Hineinversetzen in verschiedene Rollen.
  • Malen & Zeichnen: Verbessert Feinmotorik, Geduld und Kreativität. Comics oder fantasievolle Zeichnungen helfen, Gedanken und Gefühle auszudrücken.

Soziale Aktivitäten: Verantwortung übernehmen

Kinder mit ADHS besitzen oft einen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn und ein starkes Bedürfnis nach sozialer Zugehörigkeit. Daher können sie in Gemeinschaftsaktivitäten, die Verantwortung und Teamgeist fördern, besonders aufblühen. Pfadfindergruppen oder Freiwilligendienste wie die Kinder- und Jugendgruppen der Freiwilligen Feuerwehr, des Technischen Hilfswerks oder des Roten Kreuzes bieten zahlreiche Möglichkeiten zur aktiven Mitgestaltung. Durch solche Engagements lernen die Kinder, Verantwortung zu übernehmen, ihre Stärken sinnvoll einzusetzen und in einem unterstützenden Umfeld soziale Bindungen aufzubauen. Gleichzeitig stärkt die gemeinsame Arbeit im Team ihr Selbstbewusstsein und fördert wertvolle soziale Kompetenzen.

Professionelle Hilfe einbeziehen

Eine enge Zusammenarbeit mit Fachleuten wie Ärztinnen oder Ärzten und Psychotherapeutinnen oder Psychotherapeuten ist ebenfalls wichtig. Sie können mit Ihnen gemeinsam an individuellen Lösungen arbeiten und eine geeignete Therapie für Ihr Kind entwickeln. Besonders wichtig ist es, dass alle Beteiligten – Eltern, Schule und medizinische Fachkräfte – zusammenarbeiten, um Ihrem Kind die bestmögliche Unterstützung zu bieten.

ADHS muss nicht als Hindernis für eine gesunde Entwicklung verstanden werden. Mit dem richtigen Ansatz, der passenden sportlichen oder kreativen Unterstützung und der richtigen Therapie kann Ihr Kind lernen, mit den Herausforderungen umzugehen und seine Potenziale zu entfalten.

 

Portrait von Aimo Nyland © privat

Interview mit Autor Aimo Nyland

ADHS kann auch bei Erwachsenen zu Problemen führen, wie Aimo Nyland in seinem Buch "Skurrilchaotische Existenz ohne Effizienz" schildert. Wir haben mit dem Autor und ADHS-Betroffenen gesprochen.

  • Herr Nyland, Sie haben erst mit 39 Jahren die Diagnose ADHS erhalten. Was ist da in Ihnen vorgegangen?

    Zum Zeitpunkt der Diagnose stand ich aufgrund der vielen gescheiterten Anläufe, mich gesellschaftlich zu integrieren, vor einem Scherbenhaufen. Ich litt unter schwersten Depressionen und war mehr als einmal an dem Punkt zu überlegen, ob es weitergehen soll. Und wenn ja, wie. Es war ein unglaublicher Befreiungsschlag, mitgeteilt zu bekommen, dass die jahrelange holprige Existenz, das immer und immer wieder Scheitern, mit einer neurobiologischen Abweichung zu tun hat – und nicht mit Dummheit, Faulheit oder Desinteresse, was ich mir allzu gerne selbst suggerierte.

  • Wie äußert sich die Erkrankung in Ihrem Alltag heute?

    Vieles, was ich anfange, gelingt mir nicht oder ich ziehe es nicht durch, weil meine Neugier und Abenteuerlust immer wieder neue Anfänge von etwas triggert, oder weil ein kleinster Reiz genügt, um „das Handtuch zu werfen“. Bis dato bestand quasi nahezu alles aus einem kranken Kreislauf von Beginn – Abbruch – Neuorientierung, und das in jahrzehntelanger Schleife. Mich plagen Impulsivität, ständige Anarchie im Kopf, das volle Programm an exekutiven Dysfunktionen.

    Ich kann zum Beispiel keine Ordnung halten, schwer Prioritäten setzen oder angemessen auf Probleme reagieren. Ich habe Aufmerksamkeitsdefizite, leide unter Vergesslichkeit, starken Stimmungsschwankungen (manchmal sekündlich), Nähe-Distanz-Störungen (weder das eine, noch das andere ist richtig), Ungeduld und bestimmten verbalen Zwängen bis hin zum Skin Picking, also dem zwanghaften Zupfen der Haut.  

  • Sind Sie in ärztlicher Behandlung?

    Ich bin seit meiner Diagnose in psychotherapeutischer Behandlung. Medikamenten stehe ich mit Skepsis und Sorge gegenüber. Sie sind ferner Betäubungsmittel und haben neben ihrer Wirkung eben auch Nebenwirkungen, meist auf Puls und Blutdruck, sowie Ess- und Schlafverhalten. Ich möchte für mich körperliche Risiken minimieren und arrangiere mich daher lieber mit meinen Problemen. Das ist aber nur meine ganz persönliche Vorgehensweise, was ich ausdrücklich betonen will. Für viele Betroffene haben Medikamente ihren Sinn, da sie aus katastrophalen Turbulenzen heraushelfen und wieder Ordnung im Leben schaffen können. Man muss immer Nutzen und Risiken gegeneinander abwägen und mit seinem Arzt eine individuelle Entscheidung für sich treffen. Für mich reichen die Psychotherapie und Selbsthilfegruppen aus.

  • Wie kommt es, dass niemand in Ihrer Kindheit bemerkt hat, dass Sie an ADHS leiden?

    Nun, es waren die 80er. Das Krankheitsbild war längst nicht so präsent, wie es heute der Fall ist. Das Leben eines Kindes fand draußen statt. Ich hatte meine Freiheiten, konnte toben, meine Impulsivität ausleben. Wenn man unruhig war, hieß es: "Nimm den Ball und geh spielen oder zu den Pferden." Und nicht: "Verkriech' dich und nimm dein Smartphone oder die Playstation!"

    Zudem wäre man damals sowieso nie auf die Idee gekommen, bei einem Kind eine Krankheit zu vermuten, nur weil es vielleicht laut ist, nervt, tobt und eine gewisse Dauertrotzigkeit an den Tag legt. Ungemütliche Verhaltensweisen gehörten eben zur Pubertät dazu. Ich kann mich aber erinnern, dass meine Mutter einmal mit mir bei einem Psychologen war. Ich glaube, weil ich immer die Tapeten beschmutzt habe und auch im Kindergarten auffiel. Laut dieses Psychologen war ich aber wohl einfach nur ein etwas rebellisches Kind und meine Mutter sollte sich keine Sorgen machen. Und so entstand, womöglich aus einer Unaufmerksamkeit heraus, eine "Skurrilchaotische Existenz ohne Effizienz".

  • Worum geht es in Ihrem Buch?

    Es ist ein autobiographisches Sachbuch mit skurrilen Kurzgeschichten und Ratgeberteil, verpackt in etwas provokativen Humor. Es geht darum, wie ich persönlich mein ADHS erlebe. Das Buch richtet sich grundsätzlich an jeden, der sich darauf einlassen möchte, einmal hinter die Kulissen eines neurodiversen Menschen zu blicken.

War dieser Artikel hilfreich?

Vielen Dank. Möchten Sie uns noch etwas mitteilen?

Bitte fügen Sie Ihrer Nachricht keine persönlichen Daten hinzu.

Vielen Dank für Ihre Rückmeldung.

IKK classic

Veröffentlicht am 05.03.2025

Mehr zu diesem Thema